WIESBADEN - Die hessische Landeshauptstadt ist die vorläufig letzte Station, auf der der "Zug der Erinnerung" noch bis zum kommenden Mittwoch für Besucher offen steht (Anmeldung Schulklassen und Gruppen: 0162 - 77 33 563). Danach werden Dampflok und Ausstellung bis zum Spätsommer pausieren - wegen zunehmender Waldbrandgefahr durch Funkenflug. Über den neuen Fahrplan entscheidet im Juni eine Mitgliederversammlung. Sie wird zu beurteilen haben, ob die erheblichen finanziellen Belastungen weiter getragen werden können. Pro Ausstellungstag muss der Verein etwa 1.000 Euro an die Bahn AG zahlen. Inzwischen hat die DB AG rund 150.000 Euro für das Gedenken an die Opfer des Vorgängerunternehmens ("Deutsche Reichsbahn") kassiert.
Trotz dieser Belastungen weigern sich die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Bayern, den Verein mit Haushaltsmitteln zu unterstützen. Die Stuttgarter Landeszentrale für politische Bildung lehnt es ab, Kosten für die pädagogischen Begleiter des Zuges zu übernehmen, die auf sieben Bahnhöfen im Südwesten tausende Schüler betreuten. In Bayern führten die Zugbegleiter an 11 Stationen Schulklassen in die Ausstellung ein - oft bis zu 12 Stunden am Tag. Dass der Zug überhaupt fahren kann, hat er fast ausschließlich den privaten Spendern, zivilgesellschaftlichen Initiativen und vielen Kommunen zu verdanken.
Auch in Wiesbaden ist der "Zug der Erinnerung" vor allem auf die nichtstaatliche Öffentlichkeit angewiesen. Die Landesregierung, die der Verein um Unterstützung bat, hat es bis heute nicht für nötig gehalten, diese Bitte zu beantworten. Hingegen hat die Hessische Landeszentrale für politische Bildung das Bittschreiben des Vereins erwidert - ablehnend. Wenigstens die Stadt Wiesbaden hilft dem "Zug der Erinnerung" und trägt ein Viertel der Kosten. Über 10.000 Euro bleiben vorerst ungedeckt.
Wiesbaden hat die Deportation von über 70 Kindern zu beklagen. Das jüngste, Judith Friedmann, war beim Abtransport (1942) zwei Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehr als 110 Wiesbadener Juden Selbstmord begangen, um der NS-Vernichtung durch Suizid zu entgehen. In einem Abschiedsbrief des Ehepaars August und Ida Spiegel heißt es: "Gestern (...) erhielt mein Sohn von einem befreundeten Pfarrer (...) mitgeteilt, dass alle dortigen Nichtarier binnen weniger Stunden ihr Heim hätten verlassen müssen, um abtransportiert zu werden. Wir glauben bestimmt, dass über kurz oder lang uns das gleiche Schicksal erreichen wird (...) darum ziehen wir ein schnelles Ende vor."
Über die Vernichtung der Wiesbadener Sinti und Roma schreibt das Stadtarchiv: "Die Wiesbadener Sinti (...) wurden am 8. März 1943 verhaftet und ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert." Unter den später Ermordeten waren mehrere Kinder und Jugendliche. An die Wiesbadener Opfer erinnern Exponate, die das Aktive Museum Spiegelgasse in die Zugausstellung eingebracht hat - täglich von 08.30 Uhr bis 19.00 Uhr auf Gleis 5.
OFFENBACH - Noch bis zum Samstag steht der "Zug der Erinnerung" auf Gleis 6 im Offenbacher Hauptbahnhof und zeigt Lebenszeugnisse der deportierten Kinder und Jugendlichen. In den lokalen Ausstellungsteil hat die Offenbacher Geschichtswerkstatt Dokumente über einige der mit der "Reichsbahn" verschleppten Familien eingebracht. Zu ihnen gehört das Ehepaar Andorn, das in Offenbach ein Geschäft für Schneiderbedarf unterhielt und mit seinen fünf Kindern in der Mittelseestraße lebte. Der spät geborene Rudolf war das Nesthäkchen. Die Reichspogromnacht (1938) erlebte Rudolf als 11-Jähriger. In der Offenbacher Goethestraße brannte die Synagoge, jüdische Geschäfte wurden geplündert. Um der Verfolgung zu entgehen, wählten mehrere Offenbacher den Freitod, andere versuchten zu fliehen. Die Andorns beschlossen, wenigstens ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Rudolf und seine älteren Schwestern flohen nach Belgien. Aber Rudolf wollte in der neuen Umgebung nicht heimisch werden, seine Schwestern waren überfordert.
Ohne zu ahnen, dass diese Entscheidung in den Tod führen würde, holten die Andorns Rudolf nach Offenbach zurück. Sämtliche Versuche, aus der Mainstadt doch noch gemeinsam ins Ausland zu kommen, scheiterten. Rudolf Andorn und seine Eltern wurden Ende September 1942 verhaftet und nach Darmstadt überstellt. Auf der Rampe im Darmstädter Güterbahnhof warteten "Reichsbahn"-Waggons, um Rudolf und die fast 900 Mithäftlinge "in den Osten" zu verschleppen. Vermutlicher Zielort dieses Transportes war Treblinka. In die Mordstätte führte ein eigens gelegtes "Reichsbahn"-Gleis, das an einer Bahnhofsattrappe mit Blumenkästen endete. Die Ausrottungskapazitäten hatte die SS zum Zeitpunkt der Deportation von Rudolf Andorn und seinen Eltern auf ca. 20 "Reichsbahn"-Waggons gesteigert. Über 1.000 Menschen konnten binnen weniger Stunden gleichzeitig ermordet werden.
Rudolf Andorn wurde 15 Jahre alt.
An drei weitere Kinder aus Offenbach erinnern Stolpersteine, die von der Offenbacher Initiative 2007 verlegt wurden: Judis Baum (3 Jahre), Leo Reinhardt (10 Jahre), Theo Berta Sichel (16 Jahre).
Am kommenden Sonntag (24. Mai) wird der "Zug der Erinnerung" auf Gleis 5 im Wiesbadener Hauptbahnhof erwartet. Anmeldungen für Gruppen an den Folgetagen in Wiesbaden ab sofort unter Tel.: 0162 - 77 33 563.
ASCHAFFENBURG - Unter starker Beteiligung der Stadtverordneten und mehrerer Mitglieder des Landtags fand am Montag die Eröffnung der Ausstellung auf Gleis 2 des Aschaffenburger Hauptbahnhofs statt. In einer anrührenden Rede erinnerte der Aschaffenburger Oberbürgermeister Klaus Herzog an die Kindertransporte des Jahres 1938, als die britische Regierung die Grenzen für verfolgte Jugendliche aus dem NS-Reich öffnete. In den folgenden Jahren gelang nur wenigen die Flucht. Zu ihnen gehörte Hella Strauss. Zusammen mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester konnte sie 1941 als eine der letzten jüdischen Einwohner Aschaffenburg verlassen, bevor das NS-Regime die Reisemöglichkeiten weiter einschränkte und mit den Massendeportationen begann. Jedes Familienmitglied führte ein Gepäckstück und 10 Reichsmark mit sich. Mit dem Zug erreichte die Familie über Frankreich Bilbao in Nordspanien, wo sie Wochen auf ihre Weiterreise mit dem Schiff wartete. Nächste Station war Havanna auf Kuba. Nach drei Tagen Aufenthalt konnte die Schiffspassage fortgesetzt werden. Im Juli 1941 erreichte Hella Strauss endlich Ellis Island (New York). Da der Vater herzkrank war, gab es Probleme mit der Einwanderungsbehörde, so dass es weitere drei Wochen dauerte, bis die Familie in den USA willkommen war. Möglich wurde die Einwanderung nur, weil eine Tante durch ihren Arbeitgeber eine Bürgschaft besorgt hatte. Die Odyssee der Familie Strauss nahm ein gutes Ende. Als Helen Feingold lebt Hella heute in New York.
Aschaffenburg bewahrt die Erinnerung: In der Stadtbibliothek bemüht man sich um Spenden und Patenschaften für die Aktion "Stolpersteine". Eine Dauerausstellung im Museum jüdischer Geschichte und Kultur (Link) "spannt den Bogen von der ersten jüdischen Schule im Jahr 1267 bis zur Zeit der Verfolgung im Nationalsozialismus". Während des Zugaufenthalts hat das Museum seine Öffnungszeiten erweitert (Montag bis Mittwoch jeweils von 10 bis 16 Uhr) und bietet Führungen an (Museum-juedischer-Geschichte-und-Kultur@aschaffenburg.de, Tel.: 06021-290 87). Speziell für Gruppen, die den "Zug der Erinnerung" besuchen wollen, zeigt das Casino-Kino am Mittwoch "Filme gegen den Nationalsozialismus" (Anmeldung: 06021-451 0110).
Am kommenden Donnerstag wird der "Zug der Erinnerung" von Bayern nach Hessen überwechseln. Offenbach und Wiesbaden sind die vorläufig letzten Stationen (Fahrplan), bevor Anfang Juni die Sommerpause beginnt.
BAMBERG - Auf Einladung eines privaten Trägerkreises hält der "Zug der Erinnerung" am Sonntag in Bamberg. Den Personen und Organisationen um die Willy-Aron-Gesellschaft ist es kurzfristig gelungen, die Gleise nach Bamberg freizuräumen - eine beispielhafte Initiative der Bamberger Zivilgesellschaft gegen das Vergessen (Willy-Aron-Gesellschaft). Die Willy-Aron-Gesellschaft trägt den Namen eines Bamberger Sozialdemokraten, der bereits im Mai 1933 im Konzentrationslager Dachau ermordet wurde. Aron war Jude.
Wie in anderen deutschen Städten hat auch in Bamberg die konkrete Erinnerung spät eingesetzt: So gab es noch in den frühen 1980er Jahren in der Stadt zwar eine Erinnerungstafel für die "gefallenen Söhne des Vaterlandes", aber keinerlei Hinweise auf die von den Eltern und Geschwistern jener "gefallenen Söhne des Vaterlandes" ermordeten NS-Opfer. Erst 1986 wurde an der "Unteren Brücke" eine Tafel eingeweiht: "Zum Gedenken an die jüdischen Bürger und alle, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben, missachtet, verfolgt und ermordet wurden".
Die erste große Deportation (von Bamberg über Nürnberg nach Riga) organisierte die "Deutsche Reichsbahn" im November 1941. Insgesamt 119 Bamberger Juden wurden deportiert. In diesem Zug saßen u.a. die 13-jährige Helga Walter mit ihren Eltern Albert und Milly Walter, ihre Cousine Elisabeth Walter (16), die Mädchen Ilse Lipp (15), Ruth Schapiro (16) und Suse Böhm (12).
"Der letzte bekannte Aufenthaltsort der Deportierten war ab 2. Dezember 1941 das Lager Riga-Jungfernhof. Das weitere Schicksal und die Umstände ihrer Ermordung sind nicht bekannt", heißt es in dem "Gedenkbuch der jüdischen Bürger Bambergs". Sie wurden größtenteils im März 1942 in einem Waldstück nahe Riga erschossen.
Für die Ermordeten wirbt die Willy-Aron-Gesellschaft seit 2004 um Stolperstein-Sponsoren - mit Erfolg. Bisher wird in Bamberg an 15 öffentlichen Orten der Deportierten gedacht. Der "Zug der Erinnerung" verstärkt diese Aktivitäten und will die Fotos der Kinder auf seinem Weg zur Gedenkstätte Auschwitz mitnehmen.
WÜRZBURG - In einer engagierten Rede erinnerte der Würzburger Oberbürgermeister Georg Rosenthal auf Gleis 8 des Hauptbahnhofs an die Massendeportationen aus Franken, die über die Gleise der Stadt in die Vernichtungslager führten - "am hellichten Tag". Rosenthal dankte den Stadtverordneten für die einstimmige Einladung an den Zug, der bis zum Samstag in Würzburg Station macht. Unverständnis äußerte der Oberbürgermeister über die Bepreisung des Gedenkens durch die Deutsche Bahn AG. Rosenthal hat sich in den vergangenen Tagen an den neuen Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens gewandt und um eine Überprüfung der Maßnahmen gebeten.
Für die Bürgerinitiative wandte sich Ute Schilde an die auf dem Würzburger Hauptbahnhof versammelten Schüler und Schülerinnen und rief sie auf, Mut zu zeigen. "Es ist möglich, den Antisemiten und Rassisten Einhalt zu gebieten, wenn man sich an die Opfer des NS-Systems erinnert. Es ist möglich, wenn man in die Gesichter der Kinder schaut, die nicht zurückkehrten. Unseren Eltern und Großeltern fehlte dieser Mut."
Mit Ankunft in Würzburg hat der "Zug der Erinnerung" die Ursprungsstation seiner über zweijährigen Fahrt durch Deutschland erreicht. Am 27. Januar 2007, dem Auschwitz-Gedenktag, starteten zwei improvisierte Ausstellungswagen und eine Dampflok vom Würzburger Hauptbahnhof nach Schweinfurt. Fotos über die Deportationen aus Würzburg und Kitzingen waren die einzigen Exponate, die der Zug mit sich führte. Auf den angefahrenen Bahnhöfen kam es zu Auseinandersetzungen mit dem Personal der DB AG, die das öffentliche Gedenken zu verhindern suchte. Ähnliche Szenen spielten sich auf den Bahnhöfen in Berlin, Frankfurt am Main und Göttingen ab, wo der damalige Konzernvorstand der DB AG das Zeigen von Fotos der ermordeten Kinder zu verhindern suchte. Das aggressive Vorgehen der Bahn stellte die Bürgerinitiative vor die Frage, ob sie sich auf Tätlichkeiten einlassen wollte oder das Gedenken in friedlicher Weise realisieren könnte. Würzburg war die Antwort: Eine mobile Ausstellung auf den öffentlichen Trassen ließ sich mit legalen Mitteln nicht verbieten.
Der große Zuspruch auf den bisher über 90 Stationen mit inzwischen mehr als 300.000 Besuchern hat den "Zug der Erinnerung" zu einer bundesweit beachteten Gedenkstätte werden lassen, die zahlreiche Bürgerinitiativen bei ihrer Gedenkarbeit auf ungewöhnliche Weise unterstützt.
ERLANGEN/FÜRTH/BAMBERG - Mit überwältigendem Interesse reagieren fränkische Schulen auf das Ausstellungsangebot im "Zug der Erinnerung". Bereits um 08.00 Uhr kamen am Mittwoch die ersten jugendlichen Besucher des Erlanger Ohm-Gymnasiums auf den Hauptbahnhof. Die letzte Gruppe ist für 17.30 Uhr angemeldet (Zeitplan). Im Halbstundentakt erhalten insgesamt 20 Erlanger Klassen historische Einführungen, die von den pädagogischen Zugbegleitern auf dem Bahnsteig angeboten werden. Die anschließende Besuchszeit in den Ausstellungswagen können die Schüler frei gestalten, um sich über die Massendeportationen mit der "Reichsbahn" zu informieren und die Opfer zu ehren. Mindestens fünf Kinder und Jugendliche verlor die kleine Gemeinde der Erlanger Juden in der NS-Zeit (Städte und Namen).
In Fürth, der letzten Station vor Erlangen, brachte die Klasse 4a der Pestalozzischule Erinnerungen an drei verschleppte Kinder ihrer Heimatstadt in die Zugausstellung. "Wir haben eure Geschichte erkundet", heißt es auf einem Plakattext mit Lebenszeugnissen von Margot Willner (9) und den Geschwistern Alfred (5) und Judith (3). "Wir haben ein Foto vor uns, da steht ihr (...) im Garten und seht so glücklich aus. Man könnte meinen, alles wäre gut - und wenn alles gut gewesen wäre, könntet ihr heute fast unsere Großeltern sein... Am 27. November 1941 wurdet ihr (...) in einen überfüllten Zug gepfercht und nach Riga in Lettland gebracht." Alfred Willner starb in einem Konzentrationslager, Margot und Judith wurden 1942 zusammen mit ihrer Mutter Lilli in einem Wald bei Riga erschossen. Der Plakattext der 4a endet mit einem Versprechen: "Mit euch im Herzen wollen wir immer versuchen, Hass und dumme Vorurteile zu bekämpfen."
Für Schul- und Gruppenbesuche in Würzburg, der kommenden Zugstation ab Donnerstag, werden Anmeldungen jetzt auch telefonisch entgegengenommen: 0162 -77 33 563 (Frau Schilde).
Am kommenden Sonntag steht der "Zug der Erinnerung" in Bamberg - einer neuen Station, die auf Einladung der Willy-Aron-Gesellschaft angefahren wird (Link). Willy Aron, ein junger Gerichtsreferendar und Sozialdemokrat, gehört zu den ersten Opfern der NS-Rassisten in Bamberg. Wegen seiner politischen Haltung und weil er Jude war, wurde Aron bereits 1933 in das KZ Dachau eingeliefert ("Schutzhaft") und dort ermordet. Die Willy-Aron-Gesellschaft hat es mit Hilfe eines kleinen Trägerkreises vermocht, binnen weniger Wochen mehrere tausend Euro für das Gedenken im "Zug der Erinnerung" aufzubringen. Zu den Unterstützern gehören Jugendliche der Bamberger Maria-Ward-Schulen, die durch Kaffee- und Kuchenverkauf 300,- Euro spendeten. Die um eine maßgebliche Beteiligung gebetene Stadt Bamberg erübrigte den Betrag von einhundert Euro.
FÜRTH - Mit Anfahrt auf Fürth hat der "Zug der Erinnerung" ein jahrhundertelanges Zentrum jüdischen Lebens in Süddeutschland erreicht (Flyer Fürth). Wie das Memorbuch der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) ausweist, lebten Anfang des vergangenen Jahrhunderts bis zu 3.000 jüdische Bürger in Fürth. Diese Zahl nimmt mit der Machtübertragung an die NS-Partei nach 1933 langsam ab und sinkt bis 1938 auf die Hälfte. Unmittelbar nach den Novemberpogromen beginnt - wie fast überall in Deutschland - der Fürther Exodus. Wer nicht fliehen konnte, gerät in die staatlichen Großdeportationen: 1941 verschleppt die "Deutsche Reichsbahn" rund 100 Fürther Juden, 1942 sind es 268 Menschen, die gefangengenommen und mit dem Ziel Izbica abtransportiert werden. Izbica (bei Lublin) war das größte Transit-Ghetto zwischen den Vernichtungslagern Belzec und Sobibor. Dort endete auch die Mehrzahl der Fürther Deportierten.
Ein besonders schändliches Kapitel der NS-Massenverbrechen in Franken ist die Aushebung des jüdischen Waisenhauses in Fürth. 33 Waisenkinder wurden mit dem zweiten Großtransport im März 1942 in den Tod geschickt. Dem letzten Weg schloss sich die Familie Hallemann an. Isaak Hallemann und seine Ehefrau Klara hatten die Kinder über ein Jahrzehnt betreut; ihre Bemühungen um Evakuierung scheiterten. Klara Hallemann, Isaak Hallemann, ihre beiden Töchter und sämtliche der ihnen anvertrauten Kinder kehrten nicht zurück.
In Vorbereitung auf die Ankunft des Zuges halfen Schüler des Helene-Lange-Gymnasiums bei der Spurensuche. Wissenschaftliche Unterstützung bot das Stadtarchiv. Fürth hat seine jüdische Vergangenheit in den letzten Jahrzehnten umfangreich dokumentiert. Ein Trägerverein unterhält ein Museum zur Geschichte der mosaischen Glaubensgemeinschaft. Außenstellen in Schnittaich und Schwabach erinnern an das fränkische Landjudentum und seine Vernichtung ("Der Abtransport erfolgte mit dem Zug 10 Uhr 12 Minuten").
Der Fürther Trägerkreis unter Vorsitz der Stadt und mit Beteiligung von GEW und "Bündnis gegen Rechts" bietet im Rahmenprogramm einen Vortrag über "Nazistrukturen in Franken - heute" an (Flyer Fürth). Für den Besuch im "Zug der Erinnerung" haben sich zahlreiche Schulklassen angemeldet. Auf Gleis 3 des Fürther Hauptbahnhofs steht die mobile Gedenkstätte täglich von 08.30 bis 19.00 Uhr kostenlos bereit - noch bis zum Mittwoch, 12. Mai.
HERSBRUCK - 64 Jahre nach der Evakuierung des KZ-Außenlagers Hersbruck fand am Samstag Abend ein ökumenischer Gottesdienst für die 4.000 Toten der früheren Zwangsarbeiterstätte "Doggerstollen" statt. In der unmittelbaren Umgebung von Hersbruck sollte im Mai 1944 eine unterirdische Fabrik für BMW-Flugzeugmotoren von 120.000 Quadratmetern Fläche entstehen. Unter dem Kommando von 400 deutschen Bergleuten mussten Häftlinge aus fast sämtlichen europäischen Nationen im Schichtbetrieb Zwangsarbeit leisten. Am Bau waren die Firmen AEG, Thosti, Tauber, Hoch-Tief AG und die Siemens Bau-Union beteiligt. Acht verbundene Stollen, die sich zu Hallen von fünf Metern Höhe und bis zu sieben Metern Breite ausweiten, wurden aus dem Berg gesprengt. Bei der Befreiung hatte die Anlage eine Gesamtlänge von 4,03 Kilometern.
"Die Evakuierung des Konzentrationslagers Hersbruck begann Anfang April 1945", berichtet der örtliche Gedenkstättenverein (www.kz-hersbruck-info.de). Am 5. April 1945 wurden etwa 1.220 Gefangene in einen "Reichsbahn"-Zug Richtung Dachau verladen. "Die anderen Häftlingen mussten in Konvois mit jeweils 600 Mann den etwa 150 Kilometer langen Marsch zu Fuß zurücklegen." Am 7., 8., 9. und 10. April wurden die ausgemergelten Zwangsarbeiter zu Todesmärschen nach Dachau getrieben.
Seit über zehn Jahren fordert eine Hersbrucker Bürgerinitiative die Einrichtung einer Dokumentationsstätte und leistet ehrenamtliche Forschungsarbeit. Der Gedenkstättenverein möchte ein Informationsnetzwerk zu den Organisationen ehemaliger Häftlinge in Europa schaffen und die Firmenarchive der am Stollenbau beteiligten Unternehmen einsehen - doch dafür fehlen die Mittel. Von der Bayerischen Landesregierung gibt es nur vage Zusagen, die den Arbeitsbeginn immer wieder verzögern.
Trotz der eigenen Finanzierungsprobleme entschloss sich die Bürgerinitiative, den "Zug der Erinnerung" zu einem eintägigen Aufenthalt nach Hersbruck einzuladen, exakt 64 Jahre nach den Todesmärschen ("Zug der Erinnerung" hält in Hersbruck). Dabei halfen u.a. der Kreisjugendring und die "Internationale Gesellschaft für Eisenbahnverkehr" (IGE). Weil die IGE in Hersbruck über ein eigenes Gleis verfügt, das sie dem Zug zur Verfügung stellt, können die von der Deutschen Bahn AG erhobenen Stell- und Bahnsteigkosten in Höhe von täglich mehreren hundert Euro eingespart werden. Bei Redaktionsschluss ist noch unklar, ob sich auch die Stadt Hersbruck in maßgeblichem Umfang an dem Gedenken beteiligt.
Der Hersbrucker Trägerkreis plant eine Folgeveranstaltung am Dienstag, 19. Mai um 19.00 Uhr in der Aula des Gymnasiums. Die Doktorandin Ina Wester wird über "Traumata der Kindertransporte" sprechen, Dr. Eckart Dietzfelbinger vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg referiert über "Rechtsextremismus - aktuell".
NÜRNBERG - Auf sechstausend Quadratmetern zeigt das Nürnberger DB Museum Ausstellungsstücke zur Geschichte der deutschen Eisenbahngeschichte - achtzehn Quadratmeter hat sie für die Opfer der "Reichsbahn"-Deportationen nach Auschwitz übrig. Es handelt sich um ein "Kabuff", das der "Reichsbahn"-Beihilfe zum Massenmord in keiner Weise gerecht wird, heißt es im Deutschlandfunk.(1) Schlimmer noch: Über den wenigen Fotos und Dokumenten des Großverbrechens an 3 Millionen "Reichsbahn"-Deportierten dudelt im DB Museum der O-Ton eines NS-Propagandafilms. Keine Trauer, keine Demut kommen hier auf.
Obwohl allein aus Nürnberg über 100 Kinder und Jugendliche mit der "Deutschen Reichsbahn" verschleppt wurden, findet sich im DB Museum kein einziges Andenken, das dieser jungen Menschen würdig wäre. Man kann im DB Museum alles bestaunen: liebevoll restaurierte NS-Uniformen der "Reichsbahn", farbige NS-Plakate der "Reichsbahn" oder luxuriöse "Reichsbahn"-Waggons - eine einfühlende Erinnerung an die Opfer der millionenfachen "Reichsbahn"-Transporte in den Massenmord findet man nicht.
Diese Geschichtsdarstellung der DB AG hat Methode. Bis März 2009 zeigte der Internet-Kanal der DB AG ("Bahn TV") Propagandasequenzen aus NS-Filmen, in denen die Ausrottungspolitik der Nazis völlig geleugnet wurde - durch Beschweigen. Erst nach Protesten des "Zug der Erinnerung" nahm die DB AG die Sendung aus dem Netz (Verdrängen, Vergessen, Verleugnen).
Dass zahlreiche Mörder und Beihelfer in "Reichsbahn"-Uniform ihre Karrieren bei der "Deutschen Bundesbahn" fortsetzten, dort in hohe Ämter aufstiegen und Träger von Bundesverdienstkreuzen wurden, wird im DB Museum nicht deutlich. Eine Auflistung dieser Namen und ihrer Verbrechen sucht man vergeblich. Auch dieses Schweigen beleidigt die Opfer. Der "Zug der Erinnerung" zeigt einige der Täter, deren Schatten bis heute über dem Nachfolgeunternehmen DB AG liegt.
Die Deutsche Bahn AG wird aus diesem Schatten nur hervortreten können, wenn sie die Geschichte der Opfer und Täter vorbehaltlos offen legt. Das ist weder im DB Museum noch in der Wanderausstellung der DB AG der Fall. Im DB Museum findet "keine Auseinandersetzung mit dem Massenmord" statt, heißt es im Deutschlandfunk. Die Deutsche Bahn AG stellt sich "nur gezwungen und so ganz nebenbei" den Tatsachen.
2010 werden in Nürnberg Feiern zum 175. Jubiläum des deutschen Eisenbahnwesens stattfinden. Bis dahin muss die skandalöse NS-Abteilung des Nürnberger DB Museums geschlossen werden, um sie grundsätzlich zu überarbeiten. Die Beleidigung der NS-Opfer muss ein Ende haben.
(1) Mit der Bahn in den Tod. Sendung vom 04.12.2006
AUGSBURG/REGENSBURG/MÜNCHEN - Mit Lokpersonal und eigenen Dieselfahrzeugen haben mehrere private Eisenbahnunternehmen dem "Zug der Erinnerung" in Bayern geholfen. Als die Dampflok der mobilen Gedenkstätte wegen erhöhter Waldbrandgefahr nicht verkehren durfte, stellte die Bayerische Oberlandbahn (BOB Holzkirchen) eine schwere Zugmaschine bereit und brachte die Ausstellung sicher nach München. Auf dem nächtlichen Weg nach Regensburg (Flyer Regensburg) half die Firma Locomotion (München) mit einem Triebfahrzeug. Der "Zug der Erinnerung" dankt den beiden Eisenbahnunternehmen für ihre uneigennützige Bereitschaft, das Gedenken an die Opfer der "Reichsbahn"-Deportationen zu unterstützen.
REGENSBURG - Mit einem Appell an die Deutsche Bahn AG, ihren Widerstand gegen den "Zug der Erinnerung" aufzugeben, begleitete Hugo Höllenreiner bei Ankunft der Ausstellung auf Gleis 1 des Regensburger Hauptbahnhofs am vergangenen Montag das Gedenken. Höllenreiner war als Junge nach Auschwitz deportiert worden, weil er einer Sinti-Familie angehört. Er ist einer der wenigen, die zurückkehrten, nachdem der berüchtigte KZ-Arzt Mengele an dem jungen Hugo und zahlreichen anderen Kindern sadistische Experimente durchgeführt hatte. Höllenreiner wurde in Bergen-Belsen befreit. Über 30 seiner Angehörigen blieben in Auschwitz. Der 72-Jährige wandte sich bei der Eröffnung am Montag an die Regensburger Jugendlichen und bat sie, die Erinnerung wach zu halten.
Im Vorfeld der Ankunft des Zuges hatte sich die Klasse 8b der Hans-Herrmann-Hauptschule auf Spurensuche begeben und das Schicksal von drei der Höllenreiner-Cousinen dokumentiert. Rosa, Katharina und Philippine wurden 1943 nach Auschwitz verschleppt. Rosa überlebte das KZ. Katharina und Philippine wurden im März 1944 ermordet. Seit dem vergangenen Jahr erinnern drei Stolpersteine in Reinhausen an die Höllenreiner-Mädchen.
Eine umfangreiche Darstellung über die NS-Verfolgung in Regensburg brachte die Jugendorganisation Die Falken in den Ausstellungszug ein. Auf mehreren DIN A 1-Tafeln wird über die Regensburger Opfer und ihren Lebensweg berichtet. Diese lokalen Recherchen finden besonders großes Interesse und verbinden das europaweite Gedenken mit der Spurensuche vor Ort. Die Falken hatten sich bereits im vergangenen Jahr für die Anfahrt des Zuges eingesetzt und konnten jetzt erheblich zum Erfolg der Ausstellung in Regensburg beitragen (Flyer Regensburg). Nach drei Ausstellungstagen wird der Zug am Donnerstag in Nürnberg erwartet.
Dort hat der örtliche Bundestagsabgeordnete Martin Burkert eine Überprüfung eingeleitet, die den DB-Nutzungsgebühren für das Gedenken gilt. "In einem Schreiben an das Bundesministerium für Verkehr fordert der Bahnbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, die Möglichkeit einer Ausnahmeregelung zu prüfen", heißt es in einer Pressemitteilung. Außerdem beauftragte der Abgeordnete den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags "zu untersuchen, ob eine Möglichkeit besteht, die Nutzungsentgelte in bestimmten Fällen zu erlassen".
Der Oberbürgermeister der Stadt Würzburg, Georg Rosenthal, richtete am 30. April an den neuen Vorstandsvorsitzenden der DB AG ein Protestschreiben. Es sei nicht nachzuvollziehen, "aus welchen Gründen die Bahn AG ein solches Gedenken nachhaltig missachtet und damit ein zweifelhaftes Signal im Hinblick auf die Erinnerungskultur aussendet", heißt es laut Presseberichten in dem Brief (Appelle). Mitte Mai wird der "Zug der Erinnerung" in Würzburg erwartet.
MÜNCHEN - Mit Blumen und Kränzen auf Gleis 35 des Hauptbahnhofs haben Tausende der durch das NS-Regime ermordeten Kinder gedacht. Dabei nahmen sie mehrstündige Wartezeiten hin, um in den Ausstellungswagen Fotos und Lebenszeugnisse der Ermordeten kennenzulernen. Immer wieder spielten sich ergreifende Szenen ab, als Besucher die wenigen Hinterlassenschaften der Deportierten fassungslos betrachteten. "Die NS-Verbrechen waren ja bekannt, aber ich fühlte hier zum ersten Mal, was das für die Opfer bedeutete", sagte eine Besucherin, die aus Kempten angereist war. Binnen sieben Tagen kamen über 10.000 Menschen in den "Zug der Erinnerung", der am Montag in Regensburg (Flyer Regensburg) erwartet wird.
Das Münchner Gedenken gilt auch den vielen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, deren Arbeitskraft in den Münchner Rüstungsbetrieben ausgebeutet wurde. Allein die Firma BMW orderte rund 16.000 ausgehungerte Gefangene bei der SS. Am Wochenende fand eine Ehrung auf dem ehemaligen SS-Schießplatz Hebertshausen bei Dachau statt. Dort wurden sowjetische Offiziere, die den Widerstand in etwa zwanzig Münchner "Ostarbeiter"-Lagerzellen organisiert hatten, im Jahr 1944 ermordet (Flyer München). Tausende Zwangsarbeiter gingen in den Münchner "Reichsbahn"-Lagern zu Grunde.
Sämtliche Versuche der DB AG, den "Zug der Erinnerung" von der Münchner Öffentlichkeit abzuschirmen, waren vergeblich. Angesichts der großen Spendenbereitschaft kann die Fahrt des Zuges durch Bayern fortgesetzt werden.