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Zug der Erinnerung
Ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen

In Kooperation mit:


Archiv: Beiträge Januar bis Februar 2010

Zurückgekehrt

Das Foto zeigt jugendliche Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz nach der Befreiung. Ihre Lebenswege sind unerforscht. Dass sie dem Tod entgingen und zurückkehren konnten, machte sie zu Zeugen - Nachbarn wie andere wurden sie nie. Was sie zu berichten hatten, verstörte den Alltag. Heute sind die Kinder von damals über 70 Jahre alt. Ihnen Empathie, aber auch materielle Hilfe zukommen zu lassen, versucht der "Zug der Erinnerung". Bitte lesen Sie unser Gutachten über Schuld und Schulden der "Deutschen Reichsbahn" (Vorwort).








Geiseln der Täter

Mit wiederkehrenden Bitten um Rat und Recherchen wenden sich Angehörige an den "Zug der Erinnerung", weil sie die Tätergeschichte ihrer Familien aufhellen wollen. "Mein Großvater war wahrscheinlich bei der Reichsbahn in Lublin", heißt es in einem der stets ähnlichen Schreiben. "Ich befürchte, daß er von den Transporten nach Auschwitz wusste oder sogar beteiligt war. Wie können wir mehr erfahren?" In Telefonaten offenbarte eine ältere Besucherin des Zuges, dass sie auf den Ausstellungsexponaten ein nahes Familienmitglied erkannt hätte. Der Täter zeichnete Massendeportationen nach Treblinka ab - und wird von Verwandten bis heute für untadelig gehalten. In einer anderen Nachricht heißt es: "Mein Onkel bediente die Schranke eines Bahnübergangs in" (einer norddeutschen Kleinstadt). "Dort fuhren ab 42 offene Güterwagen mit tausenden (sowjetischen) Kriegsgefangenen vorbei. Sie schrieen um Wasser und Brot. Ich weiß heute, daß diese Menschen in der Heide ermordet wurden. Hätte man einschreiten können?"

Befreite Kinder aus dem KZ Auschwitz zeigen ihre
Häftlingstätowierungen auf den Unterarmen.

Vielleicht. Wir wissen es nicht. Der "Zug der Erinnerung", eine Bürgerinitiative, gibt Hinweise und ist dankbar für das Vertrauen, das aus diesen Anfragen spricht. Aber wir sind außerstande, das Schweigen aufzulösen, das uns, die Nachfahren, seit der Befreiung von Auschwitz zu Geiseln der Täter macht.

Weil über unseren Familiengeschichten der Kriegszeit ein Schleier des Ungefähren, der Halbwahrheiten und Lügen liegt, verfolgt uns die Ahnung, Massenverbrechen könnten Teil unseres individuellen Erbes sein. Diese unerträgliche Vorstellung ließ Millionen Deutsche nach der Befreiung von Auschwitz zu vermeintlichen Opfern und Helden werden. "Ich weiß, daß Sie eine jüdische Großmutter haben und Ihr Onkel im Widerstand war", stand 1945 an der Tür eines US-Büros, in dem NS-Verdächtige verhört wurden. Ob Mörder oder Helfershelfer: Mit stereotypen Schutzbehauptungen versuchten sie ihre Beteiligung zu leugnen. Diese Verwandlung hält bis heute an. Nur sehr wenige der Tätererben haben sich zu ihrer Familiengeschichte bekannt (Die Last des Schweigens. Gespräche mit Kindern von NS-Tätern, 2003), wenige andere sind auf der Suche - so wie die Absender der Anfragen an den "Zug der Erinnerung". Sie sind bereit, die Scham zu ertragen, die von den befürchteten Tatsachen ausgehen kann.

Für die übergroße Mehrheit bleibt Auschwitz abstrakt. Auch 65 Jahre nach der Befreiung gehört das Beschweigen zum Alltag. Diesen individuellen Umgang überhöht das politische Deutschland mit Allgemeinplätzen ("Verantwortung") und Funktionalisierungen ("Israel"). Die jungen Generationen werden damit nicht erreicht. Eine tatsächliche, konkrete Auseinandersetzung mit dem familiären Erbe und den kollektiven Apparaten, in denen die Menschen zu Tätern wurden, findet nicht statt. Die Kontroversen um die "Deutsche Reichsbahn" und den "Zug der Erinnerung" sind dafür ein Beispiel (Appelle). Ohne zu wissen, welche wirklichen Ereignisse sie mit den Opfern verbinden, folgen die Nachwachsenden dem Verleugnen oder müssen ein unbestimmtes Schuldgefühl ertragen. Sie sind unfrei und Geiseln der Täter, deren wirkliche Schuld weiter verdeckt wird.

Ein Menschenleben nach der Befreiung von Auschwitz versucht der "Zug der Erinnerung" eine andere Richtung einzuschlagen. Die Kräfte der Bürgerinitiative sind  bescheiden, ihr Einfluss ist begrenzt. Aber die Anfragen, die uns erreichen, und der Zuspruch auf den deutschen Bahnhöfen machen Mut.



Vorbehaltlose Hilfe

NS-Opfer aus Polen erinnern an die Verantwortung der "Reichsbahn"-Erben, die den letzten Überlebenden der Massendeportationen Hilfe schulden. Schätzungen gehen von Bahneinnahmen für über 3 Millionen Menschen aus, die das "Reichsverkehrsministerium" gemeinsam mit dem "Reichssicherheitshauptamt" in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppte - auf dem Schienenweg. Die Einnahmen betragen nach vorläufigen Erhebungen 445 Millionen Euro heutiger Währung und wurden nie beglichen (Gutachten). In Polen leben noch etwa 100.000 der Bahn-Deportierten, viele von ihnen in schwierigen sozialen Verhältnissen.

Die in Warschau erhobenen Forderungen finden ein weltweites Echo (internationale Medienberichte). Beim "Zug der Erinnerung" melden sich "Reichsbahn"-Deportierte, die heute in der Tschechischen Republik, in Australien oder in Israel leben. Auch deutsche Opfer erwarten eine Stellungnahme der Rechtsnachfolger des "Reichsbahn"-Unternehmens. Sie hoffen auf eine großzügige und einvernehmliche Regelung ihrer Ansprüche, um Gerichtsverfahren zu vermeiden. Die "Reichsbahn"-Erben werden durch das Berliner Verkehrsministerium und das Finanzministerium vertreten.

Der "Zug der Erinnerung"unterstützt die Überlebenden vorbehaltlos (deutsche Medienberichte).



Schuld und Schulden

Unter den "Reichsbahn"-Opfern befanden sich zahllose Kinder und Jugendliche. Das Foto zeigt (in der oberen Bildhälfte) junge polnische Zwangsarbeiter. Den Überlebenden der Sklaveneinsätze im "Deutschen Reich" wurden in den vergangenen Jahren geringfügige Beträge ausgezahlt - die Opfer der "Reichsbahn"-Deportationen bekamen nie einen Cent. Den Weg in die Zwangs- und Vernichtungslager mussten die Deportierten oft aus eigener Tasche bezahlen. Für 958 Düsseldorfer, die nach Theresienstadt verschleppt wurden, nahm die "Reichsbahn" 18.729 Reichsmark ein (1942). Dies entspricht einem heutigen Wert von 123.000 Euro.



Für die Kinder von Zamość

Einen Betrag in Höhe von 25.000 Euro übergaben Mitglieder des Vereins "Zug der Erinnerung" am 10. Januar an polnische Deportierte aus der Region Zamość. Das Gebiet war nach dem deutschen Überfall zu einer Musterregion für die Versklavung Polens erklärt worden. Über 200.000 Bewohner mussten ihre Häuser verlassen, um deutschsprachigen Neuansiedlern ("Volksdeutschen") Platz zu machen. Während die jüdische Bevölkerung in die Vernichtungslager kam, wurden polnische Zwangsarbeiterkontingente nach Deutschland deportiert ("Generalplan Ost"). Unter den Verschleppten befanden sich viele Jugendliche. Den Überlebenden gilt die jetzt weitergeleitete Unterstützung.

Ein "Volksdeutscher" aus Bessarabien in Zamość.
Das NS-Regime erfreute sich unter deutsch-
sprachigen Minderheiten im Ausland besonderer
Sympathie. Begeisterte "Volksdeutsche" aus
Norditalien ("Südtirol") oder der Krim (UdSSR)
folgten dem NS-Aufruf, in Polen einen
"germanischen Blutswall gegen das Slawentum"
zu errichten. Zur Belohnung wurde ihnen
das Eigentum der vertriebenen polnischen
Bevölkerung zur Plünderung überlassen.

Der "Zug der Erinnerung" hatte sich bereits im Sommer des vergangenen Jahres an die "Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung" in Warschau gewandt und um Projektvermittlung gebeten. Die Stiftung realisiert Hilfsprogramme für polnische NS-Opfer und war für die Auszahlung von Geldleistungen aus dem deutschen Zwangsarbeiterfonds zuständig (www-fpnp.pl). Eine Kooperationsvereinbarung mit der Warschauer Stiftung ebnete den Weg für die beabsichtigte Unterstützung. Über ihre Lebenswege schreibt die Stiftung (Auszüge):

"Ein für die Kinder aus der Region Zamość repräsentatives Schicksal ist das von Herrn Jan M. Jan (geb. 1932) wurde im Juli 1943, im Alter von elf Jahren, zusammen mit seinen Eltern und seinen zwei jüngeren Schwestern zwangsweise ausgesiedelt. Sie wurden in das Umsiedlungslager nach Bełżec, das vor allem als ein Judenvernichtungslager bekannt wurde, und anschließend in die Lager in Zwierzyniec, Zamość und Majdanek (KZ und Übergangslager) gebracht. Der Transport in die Lager erfolgte in Viehwaggons, ohne Lebensmittel, ohne Wasser und unter unmenschlichen hygienischen Bedingungen; in einer Atmosphäre der Terrors, unter dem Gebrüll der Wachleute und unter Lebensgefahr. Die Lagerbedingungen waren sehr schlecht - es herrschte Hunger, Krankheiten breiteten sich wegen der Enge und fehlender hygienischer Einrichtungen aus. Alle vertriebenen Polen wurden im Lager "Rasseuntersuchungen" unterzogen, um dann nach den folgenden Kategorien selektiert zu werden:



1) zur Germanisierung vorgesehene Personen (hauptsächlich Kinder mit "arischen Merkmalen"),
2) für Konzentrationslager vorgesehene Personen (z.B. wegen Unterstützung der polnischen Untergrundarmee AK),
3) zur Zwangsarbeit im Reich vorgesehene Personen,
4) zur Umsiedlung in andere Gebiete des Generalgouvernements vorgesehene Personen.

Im Fall von Jan M. wurde die gesamte Familie, darunter auch die schwangere Mutter, zur Zwangsarbeit auf einem landwirtschaftlichen Gut in Deutschland, in der Nähe von Kassel, deportiert. Jan M. wurde als Elfjähriger, genauso wie alle Erwachsenen, zur Arbeit auf dem Feld gezwungen; kurz vor dem Kriegsende wurde er mit seiner Familie nach Kassel evakuiert, wo er in den Werken der Firma Henschel & Sohn als Aushilfe arbeiten musste. In Kassel erlebte die Familie ihre Befreiung.

Ähnlich sind die Kriegserlebnisse von Herrn F., geboren 1936 in einem der Dörfer der Region Zamość. Auch er wurde zusammen mit seiner Familie 1943 verschleppt. Nach der Gefangensetzung in verschiedenen Überganglagern in der Region Zamość wurde er zur Zwangsarbeit nach Westdeutschland deportiert. In einem der Dörfer des Kreises Rees (Rheinland) wurde er als siebenjähriges (!) Kind in dem landwirtschaftlichen Hof von Reinhard Ricken beschäftigt. Bis heute ist seine originale Arbeitskarte, die am 11.08.1943 vom deutschen Arbeitsamt ausgestellt wurde, erhalten geblieben.


Die jüdische Bevölkerung von Zamość wurde
in den Tod geschickt. Das Foto zeigt ein
unbekanntes Mädchen aus dem Dorf Rachan,
das wahrscheinlich im Oktober 1942
deportiert und ermordet wurde.

Frau Danuta G. wurde im Winter 1943, im Alter von 18 Monaten, zusammen mit ihrer Familie aus dem Dorf Czolki, Kreis Zamość, ausgesiedelt. Während des Aufenthaltes in den Übergangslagern in der Region Zamość wurde der Vater von der Familie getrennt, und Danuta zusammen mit ihrer Mutter und ihrem älteren Bruder nach Siedlce gebracht. Gemeinsam mit anderen ausgesiedelten Personen (...) wurden sie völlig mittellos ihrem Schicksal überlassen, angewiesen auf die Hilfe der örtlichen Bevölkerung. Die Mutter sah sich gezwungen, Danuta einer Familie aus Siedlce zu überlassen (...). Wegen der schwierigen Lebensumstände ist kurze Zeit später Danutas Bruder an Diphterie gestorben. Nur Dank der Fürsorge der 'Waisenmütter' gelang es Danuta zu überleben."

Über die innerpolnische Projektdurchführung schreiben die Warschauer Kooperationspartner des "Zug der Erinnerung":

"Aus den langjährigen Erfahrungen unserer Stiftung wissen wir, dass die am meisten von den Begünstigten der Stiftung erwartete Form der Unterstützung - aufgrund der materiellen Umstände, des Alters und Gesundheitszustandes - die finanzielle Unterstützung ist. Im Falle von Personen, deren Renten oft nicht mehr als 200–250 Euro monatlich betragen, ist die finanzielle Unterstützung auch dringend notwendig - je nach den momentanen Bedürfnissen kann die finanzielle Unterstützung für den Einkauf von Brennmaterial für den Winter, für Medikamente oder für einen Besuch bei einem Facharzt verwendet werden (die Wartezeit für einen Arztbesuch im Rahmen der Krankenversicherung ist sehr lang, deswegen sind ältere Personen oft gezwungen, einen Arztbesuch aus privater Hand zu bezahlen).

(...)  Es wird erwartet, dass aus den Mitteln des Vereins bis zu 100 Personen eine Unterstützung in der Höhe von 500 bis 1.000 PLN (125–250 EUR) erhalten werden."

Bei den vom "Zug der Erinnerung" bereit gestellten Mitteln handelt es sich um Spenden Tausender Ausstellungsbesucher. Diese Gelder waren von der Deutschen Bahn AG eingezogen worden, um das Gedenken zu bezahlen (Trassen- und Stationsgebühren). Nach jahrelangen Protesten erstattete die DB AG die Gelder im Sommer 2009 zurück. In Teilen stehen sie jetzt als Grundstock für einen Hilfsfonds zur Verfügung.



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