Zug der Erinnerung
Ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen
In Kooperation mit:
Am ersten Tag seines Aufenthalts in Eisenhüttenstadt (früher Fürstenberg) kamen über 800 Besucher in die Ausstellung auf Gleis 3 des früheren Güterbahnhofs. Über die Rampe an Gleis 3 schleusten die NS-Behörden zwischen 1939 und 1945 ca. 80.000 Kriegsgefangene, die im Stalag III B vegetierten. Das Lager war für eine maximale Belegung mit 10.000 Menschen gebaut worden. Zu den Gefangenen gehörten 650 weibliche Häftlinge, die wegen ihrer jüdischen Herkunft in Fürstenberg Sklavenarbeit leisten mussten. Der letzte Weg von über 100 dieser Frauen führte vom "Reichsbahn"-Gleis 3 in das KZ Sachsenhausen, wo sie im Frühjahr 1945 erschossen wurden.
An diese menschichen Tragödien erinnert bis heute in Eisenhüttenstadt kein Mahnmal, keine Gedenkplakette. Erst die Ankündigung des "Zug der Erinnerung", in Eisenhüttenstadt halten zu wollen, veranlasste die DB AG, Gleis 3 provisorisch zu renovieren. In Gesprächen mit der Stadtverwaltung hat der "Zug der Erinnerung" angeregt, den früheren Deportationsbahnhof unter Denkmalschutz zu stellen und für eine ständige Ehrung der Opfer zu sorgen.
Zu den Unterstützern des Gedenkens in Eisenhüttenstadt gehört die Stiftung des Stahlunternehmens "Eisenhüttenkombinat Ost" (EKO). Die Logistiksparte von EKO betreut den Zug auf seinem weiteren Schienenweg nach Frankfurt (Oder) und Polen (Fahrplan).
Auf Gleis 3 in Eisenhüttenstadt zeigt der "Zug der Erinnerung" Fotos und letzte Lebensspuren der Deportierten. An den Orten der "Reichsbahn"-Verbrechen wird ihnen ein Stück ihrer Identität zurückgegeben. Am 8. Mai wird der "Zug der Erinnerung" der 4.500 Berliner Kinder gedenken und in die Bundeshauptstadt einlaufen - gegen alle Widerstände (Fahrplan).
Der "Zug der Erinnerung" ist auf dem Weg nach Eisenhüttenstadt und Frankfurt (Oder), um der deportierten Kinder und Jugendlichen aus der heutigen Grenzregion zu gedenken (Fahrplan). In Eisenhüttenstadt unterstützt die EKO-Stiftung die mobile Ausstellung, die auf dem renovierten Gleis 3 des früheren Deportationsbahnhofs Station machen wird; in Frankfurt (Oder) bereitet ein Netzwerk städtischer und zivilgesellschaftlicher Initiatoren den Aufenthalt seit mehreren Wochen vor (Flyer und Begleitprogramm). Anschließend wird der Zug im polnischen Cybinka erwartet (Flyer).
Auf erhebliche Widerstände stößt die Weiterfahrt nach Berlin. Obwohl die Deutsche Bahn AG bereits zu Jahresbeginn über die neue Routenplanung in Kenntnis gesetzt worden ist, wartet das Unternehmen mit der Schienenfreigabe (Pressemitteilung). Auch mehrere Interventionen der Bundesnetzagentur (der staatlichen Aufsichtsbehörde für den Bahnverkehr) führen zu keinem Einlenken. Noch am Montag, 26. April, verweigerte die DB AG verbindliche Auskünfte über Sperrungen oder Freigaben der Bahnhöfe. Die Bürgerinitiative, die den Zug durch Deutschland fahren lässt, besteht auf Nutzung der öffentlichen Gleise, um an die Opfer des DB-Vorgängers "Deutsche Reichsbahn" zu erinnern - gegen alle Widerstände.
Gemeinsam mit Überlebenden will der "Zug der Erinnerung" am 65. Jahrestag des Kriegsendes (8. Mai) die Opfer ehren und den früheren Deportationsbahnhof Berlin-Grunewald ansteuern. Fast sämtliche deutschen Bahngleise waren in das Mordgeschehen einbezogen. Der "Zug der Erinnerung" (hier in Frankfurt a.M.) fährt über ein Streckennetz, auf dem Zehntausende den Tod fanden.
Trotz zahlreicher Appelle aus dem In- und Ausland verweigert die DB AG den letzten Überlebenden der "Reichsbahn"-Deportationen Gespräche (Pressemitteilung 2). Sie fordern eine humanitäre Geste (Gemeinsame Erklärung). Zu den Geretteten gehört Josef Aron (Foto). Er wurde als Kind aus dem KZ Bergen-Belsen befreit.
Lesen Sie das Interview:
Zug der Erinnerung: Wie alt waren Sie, als Sie Deutschland verlassen mussten?
Josef Aron: Ich war vier Jahre alt. Nach den Novemberprogromen wurde ich 1939 mit einer meiner Schwestern nach Frankreich geschickt. Wir waren in Frankfurt am Main zu Hause gewesen, und unsere Mutter wollte uns in Sicherheit bringen. Ich habe sie nie wieder gesehen.
ZdE: Wie kamen Sie nach Bergen-Belsen?
Josef Aron: Die Deutschen marschierten in Frankreich ein, und 1942 entdeckte uns die Gestapo in einem Kinderheim. Auf dem Bahnhof von Lyon kamen wir in einen Viehwagen. Der Transport endete im KZ Bergen-Belsen. Dort habe ich bis 1945 überlebt... Ich war inzwischen zehn Jahre alt und wog elf Kilo. Hilfsorganisationen haben mich aufgepäppelt und mir geraten, nach Israel zu gehen. Über meine Familie wusste ich nichts. Also bin ich dem Rat gefolgt, im März 1948.
ZdE: Wie wurden Sie aufgenommen?
Josef Aron: Opfer der deutschen Vernichtungsmaschine waren damals viele in Israel. Es war nichts Besonderes. Anfang der 1950er Jahre schien ich alt genug, mich alleine durchs Leben zu boxen. Ich war 15, 16 Jahre alt, hatte keine Arbeit und bin niemals zur Schule gegangen. In Jerusalem habe ich im Park geschlafen und gegessen habe ich, was ich finden konnte.
ZdE: Bekamen Sie von offizieller deutscher Seite keine Unterstützung?
Josef Aron: Nein... Im Park in Jerusalem begegnete ich einem alten Mann, ich erinnere mich noch heute an seinen Namen, es war ein deutscher Jude namens Rubinstein. Er muss um die 80 gewesen sein und er vermittelte mir eine Stelle als Kellner in einem Café. Als ich das erste Geld beisammen hatte, kaufte ich mir eine Fahrkarte für ein Schiff nach Europa. Ich wollte nach Frankfurt zurück und meine Mutter suchen, meine Geschwister... 1954 kam ich dort an und ging zur jüdischen Gemeinde. Sie fanden Dokumente. Demnach wurde meine Mutter mit den Schwestern per Bahn nach Auschwitz deportiert. Sie wurden dort gleich nach der Ankunft ermordet...
ZdE: Wie lange blieben Sie in Frankfurt?
Josef Aron: Ein Jahr, um mir das Geld für die Rückfahrt nach Israel zu verdienen. Wieder als Kellner, diesmal auf der Zeil... Ich habe von Trinkgeldern gelebt, die mir die deutschen Gäste übrig ließen. Dann bin ich zurück.
ZdE: Sind Sie jemals auf die Idee gekommen, die Schuld einzufordern, die nach all den Morden übrig geblieben ist?
Josef Aron: Was hätte ich machen sollen, auf die deutsche Botschaft gehen: Ihr habt mir meine Familie genommen, mein Leben ruiniert? ... Ich glaube, sie hätten es nicht hören wollen.
ZdE: Sie sind heute über 70 Jahre alt. Wovon leben Sie?
Josef Aron: Deutschland zahlt mir eine Rente wegen eines sogenannten Gesundheitsschadens. Das sind 733 Euro. In Israel erhalte ich normale Altersbezüge Das sind 250 Euro.
ZdE: Wäre es gerecht, von den "Reichsbahn"-Erben zurückzuverlangen, was sie bei der Mordbeihilfe eingenommen haben?
Josef Aron: Es gibt viele, die bekommen noch nicht einmal diese 733 Euro. Es gibt viele, die nie etwas bekommen haben... Ja. Es wäre gerecht.
Bitte lesen Sie die Petition Aussöhnung und Gerechtigkeit.
Der "Zug der Erinnerung" wird bei seiner Einfahrt nach Berlin erneut behindert. Als "nicht umsetzbar" bezeichnet die DB AG den Aufenthalt der Ausstellung über die NS-Deportationen mit der "Reichsbahn" auf dem Bahnhof Berlin-Spandau. Weiter heißt es, das geplante Gedenken stelle einen "Eingriff in (das) Betriebsprogramm" dar und sei "nicht zu verantworten". Auch weitere Berliner Bahnhöfe, auf die der Zug von Bürgerinititiativen, Kirchenkreisen und Stadtverordnetenversammlungen eingeladen worden ist (Fahrplan), werden von der DB AG nicht bestätigt. Die Bundesnetzagentur wollte den Konflikt schlichten und hatte das Berliner DB-Management sowie den "Zug der Erinnerung" am vergangenen Montag (19. April) nach Bonn geladen. Aber die DB verweigerte ihr Erscheinen. "Statt das Gedenken an die 'Reichsbahn'-Opfer zu unterstützen, setzen die 'Reichsbahn'-Erben auf Konfrontation", kommentieren die Initiatoren des Gedenkens das Verhalten der DB AG (Pressemitteilung 1).
100 jugendliche Teilnehmer, die der "Zug der Erinnerung" zu einer Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz eingeladen hatte, sind am vergangenen Wochenende (18. April) in ihre deutschen Heimatorte zurückgekehrt. Das Foto zeigt die Teilnehmer mit Briefen des Gedenkens auf dem Weg zur früheren Selektionsrampe.
Nach einer Woche, die sie auf den Spuren der deportierten NS-Opfer verbrachten, kehren die 100 jugendlichen Teilnehmer einer Gedenkstättenfahrt des "Zug der Erinnerung" aus Auschwitz zurück. In einer Zeremonie an der früheren Selektionsrampe nahmen sie am Samstag (17. April) Abschied von den Ermordeten und hinterlegten persönliche Briefe des Gedenkens in Birkenau. Die SchülerInnen aus ganz Deutschland hatten zuvor an Führungen durch das sogenannte Stammlager teilgenommen und Gespräche mit Überlebenden geführt. Sie fordern von der Deutschen Bahn AG eine humanitäre Geste (Aussöhnung und Gerechtigkeit). Zum Programm der Gedenkstättenfahrt gehörte die Erkundung der Fabrikanlagen in Auschwitz-Dwory. Dort wurden die "KZ-Sklaven benutzt, um das Fundament für einen schlesischen Industriekomplex zu legen, der es ohne Weiteres mit dem Ruhrgebiet aufnehmen konnte", schreibt der englische Historiker Adam Tooze.
Die Zusammenhänge zwischen den deutschen Kriegszielen, der dafür unverzichtbaren Sklavenarbeit und den Massenmorden in Auschwitz skizziert Tooze in seinem Buch "Ökonomie der Zerstörung":
"Konservativen Schätzungen zufolge wurden zwischen 1941 und 1945 1,1 Millionen Juden nach Auschwitz deportiert. 900.000 von ihnen wurden sofort ermordet, 200.000 wurden als Zwangsarbeiter zurück behalten. Natürlich bedeutete die Selektion zur Arbeit nur den Aufschub der Ermordung. Wer der sofortigen Vergasung entging, der durchlebte fast immer einen schleichenden Prozess der Ermordung, der sich über Monate oder sogar Jahre hinziehen konnte. Das heißt, daß Auschwitz trotz seiner singulären Rolle als Vernichtungslager nie seine ursprüngliche Bestimmung als Arbeitslager verlor. Neben den 200.000 zur Arbeit selektierten Juden verwaltete die Lagerkommandantur auch einen stetigen Zustrom an nichtjüdischen Häftlingen, darunter alles in allem 140.000 Polen, ungefähr 20.000 Zigeuner aus aller Herren Länder, über 10.000 sowjetische Kriegsgefangene und mehr als 10.000 Gefangene anderer Nationalitäten (...). Zehntausende von Häftlingen wurden laufend innerhalb des Konzentrationslagersystems hin- und hergeschoben, wie es der Arbeitsbedarf eben gerade diktierte [vgl. die Ausführungen im Gutachten über die "Reichsbahn"-Einnahmen] (...) Bis 1942 hatten die SS-Architekten Pläne für einen Lagerkomplex in Auschwitz-Birkenau mit nicht weniger als 600 Gebäuden für die dauerhafte Unterbringung von Sklavenarbeitern ausgearbeitet. Bis Kriegsende waren über 300 davon fertiggestellt worden. Abgesehen davon arbeiteten Tausende von Häftlingen auf dem 4.000 Hektar großen Gelände, das Himmler in der Umgebung hatte abstecken lassen, um eine Zentralstelle für die agronomische Erforschung der Ostgebiete zu errichten (...). Diese Verkoppelung von Arbeit und Vernichtung erreichte ihren Höhepunkt im Sommer 1944, als die Juden aus Ungarn in Auschwitz eintrafen und als letzte große jüdische Bevölkerungsgruppe in den Strudel der Vernichtung eingesogen wurden. Während die Gaskammern Höchstleistungen brachten, um die Hunderttausenden von ungarischen Juden zu töten, die als nicht arbeitsfähig selektiert worden waren, wurden Zehntausende junger Männer und Frauen zur Sklavenarbeit auf die wichtigsten Rüstungsfabriken im Reich verteilt."
Die in Auschwitz und in den übrigen Vernichtungslagern begangenen Massenmorde waren Ausfluss eines irrationalen Rassismus, aber ließen sich zugleich in das rational zielgerichtete Programm der Eroberung Europas einfügen. Erst diese Synthese steigerte die kriminelle Energie unterschiedlicher deutscher Interessengruppen, die gemeinsam das größte Menschheitsverbrechen zu verantworten haben.
Die selbst gestaltete Zeremonie der jugendlichen Teilnehmer an der früheren Selektionsrampe wurde von eigenen Musikbeiträgen umrahmt. "In Auschwitz haben wir unseren Blick auf die Welt verändert", hieß es in einer Rede der hundert Jugendlichen.
An der Selektionsrampe erinnert ein "Reichsbahn"-Waggon (links im Bild) an die logistische Mordbeihile.
Auf ihrem Weg in das frühere Vernichtungslager Auschwitz gedachten 100 Jugendliche aus allen Teilen der Bundesrepublik der Berliner Deportationsopfer. Über 4.500 Kinder waren zwischen 1938 und 1945 mit ihren Familien aus der deutschen Hauptstadt "in den Osten" verschleppt worden. Ziel der "Reichsbahn"-Transporte waren die Mordstätten des NS- Regimes. Für die Sammeltransporte mit bis zu 1000 Menschen legte die "Reichsbahn" Abgangsgleise fest, zumeist an Güterbahnhöfen. Zu den Berliner Sammelstellen gehörte das Industriegebiet am Westhafen. Dorthin zogen die 100 Jugendlichen am Dienstag und warfen Blumen auf die Gleise, auf denen heute ICE-Züge fahren. In den kommenden Tagen folgen die Teilnehmer der Deportationsstrecke und werden in Auschwitz nach den Spuren der Deportierten suchen. Nur wenige der über 4.500 Berliner Kinder kehrten zurück.
Die Überlebenden der "Reichsbahn"-Deportationen aus 5 Ländern verlangen von der Deutschen Bahn AG humanitäre Hilfe und erwarten Unterstützung durch die deutsche Öffentlichkeit. In einer Gemeinsamen Erklärung, die am 26. März in Warschau verabschiedet wurde, heißt es:
"Die historischen Nachfolger der 'Deutschen Reichsbahn' müssen ihrer moralischen und finanziellen Pflicht endlich nachkommen (...)
Ohne die 'Deutsche Reichsbahn' und ihre Massentransporte wären die Morde, die Ausbeutung und die unmenschlichen Leiden der Opfer unmöglich gewesen. Die Wagen der 'Deutschen Reichsbahn' wurden für Hunderttausende zu rollenden Särgen.
Wir sind Überlebende dieser Todestransporte. Für unseren Weg in Vertreibung, Gefangenschaft und Vernichtung hat die 'Deutsche Reichsbahn' Kilometer für Kilometer Gebühren erhoben. An den Massenverbrechen hat sie sich bereichert (...)
Eine angemessene Ehrung der Millionen, die von den Transporten mit der 'Deutschen Reichsbahn' nicht zurückkehrten, wäre längst an der Zeit gewesen. Den bedürftigen Überlebenden zu helfen, sollte selbstverständlich sein (...)
Wir appellieren an die deutsche und internationale Öffentlichkeit, sich an die Seite der Überlebenden zu stellen und für Aussöhnung und Gerechtigkeit einzutreten."
Der "Zug der Erinnerung" ruft dazu auf, den Appell mit einer Petition an die Deutsche Bahn AG zu beantworten. Sie trägt den Titel Aussöhnung und Gerechtigkeit.
65 Jahre nach Kriegsende warten die Überlebenden der "Reichsbahn"-Deportationen noch immer auf eine humanitäre Geste der Unternehmenserben. Das Foto zeigt Befreite aus dem KZ Buchenwald bei ihrer Ankunft in Frankreich (1945). Etwa 3 Millionen Menschen transportierte die "Reichsbahn" in den Tod und kassierte dafür Millionenbeträge (Gutachten). Die Bundesregierung, in deren Besitz die "Reichsbahn" überging, verweigert den Opfern jegliche Hilfszahlungen.
Die Deutsche Bahn AG sieht sich in keinerlei Rechtspflicht. Bitte unterstützen Sie die Überlebenden mit Ihrer Unterschrift: Aussöhnung und Gerechtigkeit.
Nach dem Ende der Winterpause setzt der "Zug der Erinnerung" seine Fahrt fort. Neue Stationen sind mehrere Bahnhöfe in den Bundesländern Brandenburg und Berlin. In die Bundeshauptstadt wird die mobile Gedenkstätte am 8. Mai einlaufen, dem 65. Jahrestag der Befreiung. Zuvor steht die fahrende Ausstellung über die NS-Deportationen mit der "Reichsbahn" den Besuchern in der deutsch-polnischen Grenzregion zur Verfügung. Hier hatte der Zug im Dezember 2009 seine Fahrt unterbrochen und den ursprünglich vorgesehenen Aufenthalt in Eisenhüttenstadt (vormals: Fürstenberg/Oder) verschoben. Grund der Absage waren inhaltliche und organisatorische Probleme, die eine angemessene Ehrung der deportierten Kinder und Jugendlichen unmöglich machten (Verhöhnung der Opfer). Dieser Aufenthalt wird jetzt nachgeholt. Anschließend folgt der "Zug der Erinnerung" einer Einladung aus Polen und soll sich mehrere Tage auf der anderen Oderseite aufhalten. Polen feiert am 3. Mai seinen Verfassungstag. Am 4. Mai erwartet Frankfurt/Oder die mobile Gedenkstätte. Lokaler Kooperationspartner ist der zivilgesellschaftliche Verein "Utopia e.V." (Fahrplan).
Mit Ankunft in Berlin am 8. Mai wird der "Zug der Erinnerung" die Überlebenden der "Reichsbahn"-Deportationen ehren. 65 Jahre nach Kriegsende sind die moralischen und materiellen Verpflichtungen der Unternehmens-Erben noch immer nicht abgegolten (Gutachten).
Über 100 Teilnehmer aus fast sämtlichen Regionen der Bundesrepublik haben sich für die diesjährige Gedenkstättenfahrt zum Museum Auschwitz (Oświęcim/Polen) angemeldet. In der Mehrzahl sind es Jugendliche, die den "Zug der Erinnerung" auf seinen bisherigen Haltestationen besonders engagiert empfingen. Sie erarbeiteten Biographien der in ihrer Nachbarschaft deportierten Kinder und brachten diese Exponate in die mobile Ausstellung ein oder zeichneten sich durch Aktivitäten gegen Rassismus und Rechtsradikalismus aus. Um die Teilnehmer auf den Aufenthalt in dem früheren deutschen Vernichtungslager vorzubereiten, finden gegenwärtig Regionaltreffen statt, die der "Zug der Erinnerung" und seine pädagogischen Mitarbeiter besuchen.
Das Reiseprogramm beginnt Mitte April in der Bundeshauptstadt, dem früheren Zentrum der Deportationsbehörden und ihrer Schreibtischtäter. Ohne die Berliner Zentralen der SS ("Reichssicherheitshauptamt"), der "Deutschen Reichsbahn" und des Auswärtigen Amtes ist das Funktionieren der bürokratischen Vernichtungsapparate nicht zu verstehen. Das an Verbrechen unübertroffene Regime in Auschwitz wäre unmöglich gewesen, hätten die Täter lediglich auf eigene Faust gehandelt. Ihre Massenmorde fanden in einem hierarchischen System von Befehl und Gehorsam statt, das Voraussetzung individueller Entmenschlichung ist.
Zu diesem System gehörte auch die Indienststellung zehntausender Deportierter für Zwecke der deutschen Kriegsindustrie. Das regionale Zentrum der industriellen Ausbeutung war Auschwitz-Monowitz, ein auch für heutige Verhältnisse riesiger Fabrikkomplex, in dem Nachschub für die Front hergestellt wurde, vor allem durch den Chemiekonzern IG Farben (Maschinerie der Vernichtung). Im direkten Umfeld des IG-Farben-Geländes befanden sich in Auschwitz-Monowitz unzählige kleinere Zuliefererbetriebe, deren Arbeitskräfte die SS aus dem Stammlager zuführte. Diese Personalquelle schien unendlich groß: Aus jedem neuen Transport der verschleppten Juden oder Sinti, den die "Reichsbahn" aus ganz Europa ankarrte, filterten die NS-Spezialisten überlebensfähige Gefangene für ein kurzes Dasein als Arbeitssklaven. Alle anderen wurden ermordet. Dieser Zusammenhang zwischen rassistischen Motiven und ökonomischen Interessen wird in Auschwitz nicht immer offenbar - zu ungeheuer ist der Eindruck, den die eigentlichen Mordstätten hinterlassen.
In den kommenden Wochen jährt sich die Befreiung mehrerer deutscher Konzentrations- und Zwangslager. Unter den Überlebenden waren auch Kinder und Jugendliche. Das Foto zeigt den dreijährigen Stefan Jerzy Zweig, einen polnischen Gefangenen im KZ Buchenwald, der nach dem 11. April 1945 von der UN-Flüchtlingsorganisation U.N.R.R.A. betreut wurde. Während seiner KZ-Zeit stand Stefan Jerzy Zweig unter dem Schutz der politischen Mithäftlinge Robert Siewert und Willi Bleicher (später Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg). Stefan Jerzy Zweig lebt heute in Wien.