Zug der Erinnerung
Ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen
In Kooperation mit:
Mit einem vorgeblichen "Hilfsprogramm" versuchen die Deutsche Bahn AG und ihre Eigentümerin (d.i. die Bundesrepublik Deutschland) den berechtigten Forderungen der überlebenden "Reichsbahn"-Opfer auszuweichen. Wie es in unbestätigten Berichten heißt, bietet die DB AG den Deportierten in Polen, Weißrussland, der Ukraine und Russland pro Kopf sechs bis zwölf Euro an.
Die Überlebenden wurden in jugendlichem Alter mit der "Reichsbahn" in die deutschen Zwangs- und Vernichtungslager verschleppt. Der ihnen zugedachte Betrag ("humanitäre Geste") soll über drei Jahre gestreckt werden, so dass die betagten und oft hinfälligen "Reichsbahn"-Opfer jährlich maximal vier Euro zur Verfügung hätten.
Als "Vermittler" des Angebots, das die Rufe nach materieller Sühne zum Schweigen bringen soll, tritt der Vorstand der Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" (EVZ) auf. Damit bestätigen sich Befürchtungen, die der "Zug der Erinnerung" den internationalen Opferorganisationen Anfang August zur Kenntnis brachte: Die deutsche Verhandlungsführung scheint darauf abzuzielen, "die Bedürftigkeit der Opfer auszunutzen" und "ihre tatsächlichen Ansprüche durch Zeitablauf zu erledigen" (Erklärung).
Diese tatsächlichen Ansprüche ergeben sich aus den Deportationseinnahmen der "Deutschen Reichsbahn" in Höhe von mindestens 445 Millionen Euro heutiger Währung (Gutachten). Juristische Schuldnerin der Verbrechenseinnahmen ist die Bundesrepublik Deutschland, historische Schuldnerin ist die Deutsche Bahn AG.
Wie es in der Erklärung weiter heißt, stehe das Verhalten der Schuldner in Widerspruch zur "Einsicht weiter Teile der deutschen Öffentlichkeit". "(N)ur ein unzweideutiges Schuldbekenntnis und die Begleichung der Schulden" könnten "die historischen Verbrechenslasten mildern". Ziel müsse es sein, dass "zwischen den Nachfahren der Täter und den überlebenden Opfern Misstrauen und Hass vergehen".
Die in mehreren Sprachen verbreitete Erklärung schließt mit der Feststellung, dass die Rechtspflicht der Schuldner durch "humanitäre Gesten" nicht zu tilgen sei und der internationalen Gerichtsbarkeit unterliege - "et nunc et semper" (jetzt und für immer).
Anlässlich seiner kommenden Mitgliederversammlung will der "Zug der Erinnerung" entscheiden, wie er die berechtigten Ansprüche der Opfer unterstützen kann - sowohl in Deutschland wie im Ausland.
Ahnungslos über die ihnen bevorstehenden Qualen begeben sich Sinti und Roma auf eine "Reichsbahn"-Reise, die sie (über Umwege) in die Vernichtung führen wird. Das im Mai 1940 entstandene Foto wurde auf dem Bahnhof Asperg (bei Stuttgart) aufgenommen. Von Stuttgart gingen ab Dezember 1941 über ein Dutzend "Reichsbahn"-Transporte in die Zwangs- und Vernichtungslager, darunter nach Auschwitz, Izbica und Theresienstadt. In zahlreichen Fällen mussten die Deportierten ihren Weg in Elend und Tod selbst bezahlen. Dabei nahmen "Reichsbahn" und Verkehrsministerium Millionensummen ein. Bis heute weigern sich die Täter-Erben, diese Einnahmen zu erstatten, und bieten den Opfern Brosamen an. Haben DB AG und Verkehrsministerium kein Geld? Allein für den Umbau der Stuttgarter Bahnhofsanlagen stellen DB AG und Verkehrsministerium 2,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Für den Ankauf eines britischen Bahnkonkurrenten zahlt die DB AG in diesem Jahr 2,7 Milliarden Euro. Die DB AG ist auf dem europäischen Logistikmarkt Nr. 1 und will unter anderem nach Polen sowie in die osteuropäischen Staaten expandieren. Die DB AG muss die Opfer, denen das Vorgängerunternehmen ("Deutsche Reichsbahn") Gesundheit und Leben runierte, angemessen entschädigen.
Mit ihren bundesweiten "Bahnhofsfesten" zum 175. Jubiläum der ersten deutschen Eisenbahnfahrt stellt sich die DB AG in die Tradition der nationalen Bahngeschichte. Sie führte auch nach Auschwitz und in die anderen Lager. Doch das dabei verübte Großverbrechen, das der DB-Vorgänger zu verantworten hat, soll aus der öffentlichen Erinnerung getilgt werden. (Foto: Um den Besuchern des Hamburger "Bahnhofsfests" die Sicht zu versperren, umstellen Sicherheitskräfte der DB AG ein Transparent mit der Aufschrift "Die 'Reichsbahn'-Opfer ehren - den Überlebenden jetzt helfen".) Die Unterdrückung der berechtigten Forderungen und die Einschränkung der Öffentlichkeit werde weder in Deutschland noch im Ausland hingenommen werden, kommentiert der "Zug der Erinnerung".
Die Bürgerinitiative verlangt eine angemessene Restitution der überlebenden Opfer und die Gewährleistung unauslöschlicher Gedenken auf den ehemaligen deutschen Deportationsbahnhöfen. Die DB AG müsse ihren Widerstand gegen die Ehrung der Verschleppten aufgeben.
Mit Hausverboten und dem Einsatz von Sicherheitskräften versucht die DB AG einer öffentlichen Ehrung der "Reichsbahn"-Opfer zu entgehen. Auf dem "Bahnhofsfest" in Hamburg kam es deswegen am 11. Juli zu Zusammenstößen mit Demonstranten, die Informationsmaterial verteilen wollten (Pressemitteilung). Für das Gedenken an die über 6.000 Deportierten, die auf dem Hamburger Schienennetz nach Minsk, Theresienstadt oder Auschwitz verschleppt wurden, biete das Eisenbahnjubiläum "nicht den geeigneten Rahmen", beschied das Bahnhofsmanagement die Demonstranten und wies sie aus dem DB-Gelände. Angesichts der erwarteten Demonstrationen auf anderen DB-Festen, deren Höhepunkt ein Auftritt der Bundeskanzlerin ist, sind weitere Auseinandersetzungen vorhersehbar.
Ihre mehrmonatigen Bahnhofsfeste hat die DB AG angesetzt, ohne eine Einigung mit den Überlebenden der Massendeportationen des Vorgängerunternehmens ("Deutsche Reichsbahn") abzuwarten. In Polen, der Ukraine und Russland hoffen die "Reichsbahn"-Opfer noch immer auf Restitution. Sie haben bis heute keinen Cent erhalten. Auch in Deutschland oder Frankreich ist eine Entschädigung der Bahn-Deportierten nie erfolgt. Stattdessen stiftet die DB AG jetzt Freifahrkarten nach Nürnberg, wo das DB-Museum eine hakenkreuzgeschmückte NS-Lokomotive zeigt ("Glanzlicht der Eisenbahngeschichte"). Zusätzlich wurde mit DB-Mitteln eine Ausstellung konzipiert, die das Großverbrechen künstlerisch überhöhen will, aber in einem Event des Voyeurismus landet: Monitore übertragen Kameraansichten des heutigen KZ-Geländes von Auschwitz - in Echtzeit! Zwischen den Fernsehzeilen des technischen Spektakels, das authentisch wirken soll, verschwindet die Wirklichkeit: Das soziale Elend, in dem viele "Reichsbahn"-Überlebende ihre letzten Tage verbringen müssen, wird unsichtbar und dem Mitgefühl entzogen.
Hinter solchen Kulissen lotet die DB AG eine kostensparende Kompensation der historischen Schulden aus. Klandestine Gespräche mit einzelnen Opfergruppen, Versprechungen an andere und Ausschaltung der Öffentlichkeit sollen die volle Rückzahlung der Deportationseinnahmen (445 Millionen Euro/Gutachten) verhindern. Die DB AG und ihre Eigentümerin, die Bundesrepublik Deutschland, scheinen sich über die Konsequenzen nicht im Klaren zu sein: Trotz aller taktischen Winkelzüge werden Schuld und Schulden vor internationalen Gerichten verhandelt werden müssen, sollte ein angemessenes Ergebnis nicht zustande kommen.
Die Bahnhofsfeste der DB AG wirken unangebracht, solange das deutsche Staatsunternehmen die Opfer seines Bahnvorgängers nicht angemessen ehrt. Dazu gehört die Restitution der Überlebenden ebenso wie ein unauslöschliches Gedenken auf den deutschen Bahnhöfen. Sie waren Ausgangs- oder Durchgangsorte fast sämtlicher Massendeportationen. Ohne die Zubringertätigkeit der "Deutschen Reichsbahn" wäre das Großverbrechen unmöglich gewesen (Foto: Jüdische Deportierte aus Ungarn im Mai 1944 in Auschwitz vor ihrer Ermordung. Im Hintergrund die deutschen Güterwagen, die sie nach Auschwitz brachten).
Seit Jahrzehnten verlangen deutsche Bürgerinitiativen, dass an die Deportierten ihrer Städte in den Bahnhöfen erinnert werden darf - mit Plaketten oder Denkmälern. Oft scheiterten die Initiatoren an massiven Widerständen. Ohne eine umfassende Bereitschaft der DB AG, die dezentrale Ehrung der Opfer zu gewährleisten, wird die deutsche Zivilgesellschaft die geplanten Feierlichkeiten schwerlich hinnehmen.
Mit einer Serie öffentlicher Bahnhofsfeste will die Deutsche Bahn AG (DB AG) das 175. Jubiläum der deutschen Eisenbahnen begehen. Für den Auftakt wählte das Unternehmen, das sich in die Tradition der deutschen Eisenbahngeschichte stellt, den Kieler Hauptbahnhof. Dort erwartete die Besucher am 27. Juni "ein Programm mit Live-Musik, Gewinnspielen und Informationsständen", berichten die "Kieler Nachrichten". Das Blatt zitiert den Vorstandsvorsitzenden der DB AG, Dr. Rüdiger Grube: "Seit 175 Jahren bringt die Eisenbahn Menschen zusammen, das wollen wir feiern." Weitere "bunte Bahnhofsfeste" sind laut "Kieler Nachrichten" in insgesamt 15 Großstädten geplant, darunter in Hamburg, Berlin und Köln. Höhepunkt soll ein Staatsakt sein, den die Eigentümerin der DB AG, die Bundesrepublik Deutschland, im Dezember mit der Kanzlerin in Nürnberg begehen will.
Schuld und Schulden
Während die DB AG in Kiel feiern ließ, gedachten die überlebenden Opfer der Mordbeihilfe des DB-Vorgängers: Im Juli vor genau 68 Jahren wurden aus Kiel (und Hamburg) über 1.500 Menschen mit der "Reichsbahn" deportiert. Die Waggons fuhren in das KZ Theresienstadt (Terezin). Insgesamt mehr als 3 Millionen Gefangene lieferte der DB-Vorgänger dem Tod aus. Die "Deutsche Reichsbahn" bereicherte sich an den Transporten (Gutachten). Die Beihilfe des Staatsunternehmens, dessen Erbin die Bundesrepublik Deutschland ist, wurde nie gesühnt. Noch immer warten die Opfer auf ein öffentliches Schuldbekenntnis der "Reichsbahn"-Nachfolger - ebenso wie auf die Begleichung der Schulden. Sie betragen wenigstens 445 Millionen Euro heutiger Währung.
Taktische Winkelzüge
"Der Betrag, der den letzten Überlebenden zusteht, muss in einem angemessenen Verhältnis zu den 'Reichsbahn'-Einnahmen stehen", verlangt der "Zug der Erinnerung". In einem Schreiben an die Vertreter internationaler Opferorganisationen warnt der Verein vor "taktischen Winkelzügen" der Schuldner und ihrer Beauftragten. Mit einem ersten Angebot der DB AG (Verhandlungsbeginn) wird in diesen Tagen gerechnet.
Die vom "Zug der Erinnerung" geforderten Verhandlungen über die Ehrung der "Reichsbahn"-Opfer werden in Kürze beginnen. Beteiligt sind auf deutscher Seite die DB AG und die Bundesregierung. Dem Vernehmen nach lassen sie sich von der Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" (EVZ) vertreten. Der Opferseite gehören 21 Organisationen aus fünf Staaten an. Sie hatten im März eine Gemeinsame Erklärung veröffentlicht. Darin appellieren sie an die "historischen Nachfolger der 'Deutschen Reichsbahn' (,) ihrer moralischen und finanziellen Pflicht endlich nach(zu)kommen."
Der Appell, der starke internationale Beachtung findet (Internationale Medienberichte), wird in der Bundesrepublik von einer Petition begleitet. Die Deutsche Bahn AG und ihre Eigentümerin, die Bundesrepublik Deutschland, müsse "die 'Reichsbahn'-Opfer angemessen ehren", fordern die Unterzeichner, darunter Bundestagsabgeordnete und Parlamentarier des Europa-Parlaments. "Den bedürftigen Überlebenden, die in hohem Alter sind, muss schnelle und großzügige finanzielle Hilfe zuteil werden."
In einer Pressemitteilung vom 9. Juni begrüßt der "Zug der Erinnerung" die bevorstehenden Verhandlungen. "Die Unterstützung der Öffentlichkeit" habe die "Reichsbahn"-Erben "zu einem ersten Einlenken veranlasst." Dieser zivilgesellschaftliche Erfolg müsse zu "einem angemessenen Ergebnis führen" und für sämtliche Opfer "transparent" gestaltet werden.
Völlig unterschiedliche Vorstellungen über eine angemessene Restitution haben Opfer und Täter-Erben. Während in einem Gutachten, das der "Zug der Erinnerung" vorgelegt hat, von Deportationseinnahmen der "Reichsbahn" in Höhe von mindestens 445 Millionen Euro die Rede ist, streiten die "Reichsbahn"-Erben jede Zahlungsverpflichtung ab. Im Gespräch ist eine "humanitäre Geste" der Bahn AG. Eine Einigung mit den 21 Opferverbänden gilt als unwahrscheinlich, sollte die deutsche Seite nur symbolische Beträge anbieten. Für diesen Fall kündigen sich Auseinandersetzungen an, die das bevorstehende Bahnjubiläum in Nürnberg überschatten könnten. In Nürnberg wollen Bundeskanzlerin Merkel und Bahnchef Grube den 175. Jahrestag der ersten deutschen Eisenbahnfahrt mit einem Festakt begehen. Die Verhandlungen stehen deswegen unter Zeitdruck. Der "Zug der Erinnerung" ruft dazu auf, die im Netz verfügbare Petition schnell zu verbreiten.
Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer hat dem "Zug der Erinnerung" für "das Gedenken an die Opfer der NS-Deportationen" gedankt. "Als Bundesverkehrsminister sehe ich mich auch in der Pflicht, einen Beitrag zum verantwortungsvollen Umgang mit unserer Geschichte und zu ihrer Aufarbeitung zu leisten", heißt es in dem Schreiben vom 2. Juni 2010. Das Ministerium spendet 20 Tausend Euro.
Zuvor hatten sich die Berliner Bundestagsabgeordneten Kai Wegner (CDU) und Swen Schulz (SPD) für den Zug engagiert. Schulz, Sprecher der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung seiner Fraktion, regte bei der Bundesregierung Unterstützung an, Wegner wandte sich mit einer ähnlichen Bitte an Bahnchef Rüdiger Grube. In seinen Dank schließt der Trägerverein die Grün Alternative Liste Berlin-Spandau ein (GAL), deren Kreisvorsitzende Angelika Höhne das Gedenken in der Bundeshauptstadt fraktionsübergreifend begleitet hat.
Am 8. Juni 1943 verließ ein "Kindertransport" das Deportationslager Westerbork in den von deutschen Truppen besetzten Niederlanden. Insgesamt 3.017 Menschen wurden in die Güterwaggons geladen. Für "Fahrplananordnungen" und "Sonderfahrpläne" in Richtung Osten sorgte die "Deutsche Reichsbahn". Ziel des Zugverbandes war Sobibor, ein Vernichtungslager in Südostpolen. Während der dreitägigen Fahrt hielt der Transport auf den Bahnhofsgeländen zahlreicher deutscher Städte. Niemand schritt ein. Am 11. Juni 1943 erreichten die Verschleppten das Lager. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurden sie vergast.
Bei den Logistikleistungen der "Deutschen Reichsbahn" handelt es sich um Beihilfe zum Massenmord. Dafür kassierte das Unternehmen hohe Millionenbeträge. Der "Zug der Erinnerung" erwartet, dass die Verhandlungen mit den "Reichsbahn"-Nachfolgern zu einer angemessenen Ehrung und Unterstützung für die Opfer führen. (Foto: Deportation von Kindern und Babys aus dem Lager Westerbork)